Call for a European Public Holiday!
Let’s foster a European Civil Society!
We need a European Day – a public holiday in all EU member states, on the last Monday in May, starting in 2018.
During the European Day, and over the preceding weekend, public transport across the Union is free, and various public institutions hold open days. Europe-themed intercultural and political activities (street parties, debates, readings, games, exhibitions, concerts, plays, film screenings) take place throughout member states, encouraging citizens to explore and reflect on what it means to be European.
Such a yearly event is long overdue and should not be compared to Europe Day. Strangely, this is held on two days, May 5th and 9th, to hail different institutional landmarks of EU development. But neither is an official holiday, though both are considered a “symbol” of the Union, alongside the flag, the anthem, the motto and the euro. Few citizens know about the dates and they tend to pass unnoticed. What a wasted opportunity!
Establishing a European Day across all member states would create a symbol that no one can overlook and everyone has the chance to fill with meaning. The holiday will remind us all – but especially those in Brussels – that democracy has to work at many levels and that the participation of citizens is the most vital of these.
We have to demand this holiday because Brussels has not so far had the imagination or the sense to grant it.
Objections will doubtless be raised:
It’s unaffordable! Really? Can’t an organization that spends billions on bailing out banks open its coffers to invest in its own citizenry?
It’s bribery! For decades, the union has incentivized business and industry through all manner of subsidies and special provisions, why shouldn’t it offer a sweetener to its people?
It’s bad for the economy! Politics has for too long been driven by what’s “good for the economy” on the assumption that this will automatically, eventually, translate into good(s) for all. A European Day would signal a bold shift away from the neo-liberal paradigm that privileges the “needs” of the market over the needs of individuals and of democracy.
A European Day, with its associated moving, mixing and meeting of people, will begin to create something the Union has spectacularly failed to do so far – a European civil society. For the EU to be more than a market place it must have a thriving demos - a politically informed and engaged body of citizens. This requires time and space in which to develop. A European Day is the first step.
Join the demand for a European Day and help jolt new life and meaning into the EU!
Read about the DEMOS plan for a European Public Holiday! and more here: http://www.literaturhauseuropa.eu/de/observatorium/blog/the-fight-for-europe-state-of-exception-reloaded
Or here in German: http://www.taz.de/!5373582/
PLEASE SIGN THE CALL HERE. THANK YOU.
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Aufruf zur Einführung eines Europäischen Feiertags! Lassen Sie uns gemeinsam die Europäische Bürgergesellschaft fördern!
Wir brauchen einen Europäischen Feiertag – einen gesetzlichen Feiertag in allen Staaten der EU, am letzten Montag im Mai, eingeführt ab 2018.
Während des Europäischen Feiertags und des vorhergehenden Wochenendes ist der öffentliche Verkehr zwischen den EU-Ländern kostenlos, und die Einrichtungen der Union laden zu Tagen der offenen Tür ein. Überall finden europabezogene kulturelle und politische Aktivitäten statt. Wie Straßenfeste, Diskussionen, Lesungen, Spiele, Ausstellungen, Konzerte, Filme und Theateraufführungen, bei denen man erfahren und überlegen kann, was es heißt, Europäerin und Europäer zu sein.
Es ist schockierend, dass so etwas noch nicht existiert. Zwar gibt es den Europatag, der seltsamerweise zwei Daten hat, den 5. und den 9. Mai. Beide Tage sind keine gesetzlichen Feiertage, obwohl beide als „Symbol“ der Union gelten, ebenso wie die Flagge, die Hymne, das Motto und der Euro. Aber wenige Bürger kennen diese Daten oder verbinden etwas mit ihnen. Was für eine vertane Chance!
Einen Europäischen Feiertag für alle Mitgliedsstaaten einzuführen, würde für die EU ein starkes Symbol schaffen, das jeder für sich mit Bedeutung füllen kann.
Der Feiertag wird uns alle daran erinnern – besonders aber jene, die in Brüssel sitzen - dass man für eine funktionierende Demokratie an vielen Stellschrauben drehen muss, unten wie oben, und dass die Teilhabe der Bürger das Wesentliche dabei ist.
Wir müssen diesen Feiertag einfordern, da in Brüssel bislang niemand die Vorstellungskraft oder die Vernunft besessen hat, so einen Tag zu gewähren.
Es wird zweifelsohne erhebliche Einwände dagegen geben:
Das ist nicht zu bezahlen! Wirklich? Kann eine Organisation, die Milliarden für die Rettung von Banken ausgibt, ihre Geldsäckel nicht öffnen, um in die eigenen Bürger zu investieren?
Das ist Bestechung! Jahrzehntelang hat die Union mit allen möglichen Fördermitteln und Sonderbestimmungen Anreize für die Wirtschaft geschaffen – warum nicht den eigenen Bürgern ein Löffelchen Zucker anbieten?
Es schadet der Wirtschaft! Schon viel zu lange wurde die Politik bestimmt von dem, was „gut für die Wirtschaft“ ist – im Irrglauben, früher oder später erwachse daraus ganz von selbst „Gutes (Güter) für alle“. Der Europäische Feiertag würde einen mutigen Schritt der EU weg von der neoliberalen Bevorzugung des Marktes bedeuten, hin zum Vorrang des einzelnen Bürgers und der Demokratie.
Ein Europäischer Feiertag, mit seinem Zusammentreffen von Menschen in verschiedenen Konstellationen und an verschiedenen Orten, wird dabei helfen, etwas zu kreieren, bei dem die Union bislang auf spektakuläre Art und Weise versagt hat: eine Europäische Bürgergesellschaft. Damit die EU mehr als ein Ort ist, an dem man Güter umschlägt, braucht sie einen vitalen Demos – eine sachkundige und engagierte Körperschaft von Bürgerinnen und Bürgern. Ein Europäischer Feiertag ist ein erster Schritt dahin.
Schließen Sie sich bitte dem Aufruf für die Einführung des Europäischen Feiertags an und helfen Sie, der EU neues Leben und Bedeutung einzuhauchen.
Lesen Sie bitte über den DEMOS-Plan für einen Europäischen Feiertag und andere Maßnahmen hier: http://www.taz.de/!5373582/
BITTE UNTERZEICHNEN SIE HIER DIESEN AUFRUF. VIELEN DANK.
Diese Petition wird versendet an:
Artikel über den Europäischen Feiertag // Articles about the European Holiday
Herzblut für die Demokratie
Europa driftet immer weiter nach rechts – und es herrscht Politikverdrossenheit.
Warum wir einen Aktionsplan für die Bürger brauchen.
von: Priya Basil
16.1.2017
Viele Reden sind geschwungen worden, um den schlechten Gesundheitszustand der EU zu diagnostizieren und Rezepte zur Behandlung auszustellen. Doch Worte konnten nur wenig bewirken: Die EU ist wie ein Patient, der die Krankheit nicht annehmen will, von der Arznei ganz zu schweigen. Und je schlimmer die Krankheit, desto weniger effektiv sind konventionelle Heilmittel, nicht zuletzt, weil sie eine Weile brauchen, um zu wirken – doch die Zeit läuft der EU inzwischen davon.
Tatsächlich ist es vielleicht schon so weit, dass die Medizin den Zustand nur noch verschlimmert. Das lässt die allergische Reaktion vieler Bürger auf die Aussicht eines repräsentativen EU-Parlaments vermuten, das mit gleichem Stimmrecht gewählt und mit vollem Gesetzgebungsrecht ausgestattet ist. Alles, was sie in solchen Plänen erkennen können, ist „mehr Europa“ – im Sinne von mehr für Europa (das heißt: für die anderen), aber nicht für mich.
„Mehr für dich“ verheißen Populisten derzeit: mehr Kontrolle, mehr Sicherheit, Jobs, Unabhängigkeit, Wohlstand, Macht. Diesen Boden muss die EU dringend zurückgewinnen, indem sie den märchenhaften Versprechungen der Populisten ein paar fabelhafte eigene Angebote entgegenhält.
Was ist zu tun? In einem Wort: DEMOS. Der EU-Kreislauf braucht eine Infusion gewöhnlicher Bürger – das Herzblut der Demokratie. Der Demos wird immer wieder von Demagogen beschworen, die behaupten, für die einfachen Leute – und zu ihnen – zu sprechen, doch ihre Definition „der Leute“ ist vage und stets ausgrenzend. Es gilt, die Idee des Demos als vielgestaltigen und offenen Körper zu restituieren, und die EU muss sich dieser Aufgabe annehmen, denn allein durch die Wiederbelebung eines Demos kann sie sich selbst kurieren. Der altgriechische Begriff trägt ein kurzes Alphabet in sich, das im Englischen einen Aktionsplan buchstabiert:
Democracy / Demoratie
European Days / Europatage
Message / Botschaft
Others – European Green Card Lottery / Andere – Europäische Greencard-Lotterie
Social (and Military) Service / Zivil-(und Militär-)dienst
Der DEMOS-Plan geht davon aus, dass zentrale Brüsseler Einrichtungen demokratischer werden müssen und dass die EU-Politik künftig weniger unternehmerischen und nationalen Interessen verpflichtet sein darf als vielmehr den Interessen aller Bürger. Dementsprechend führt der Plan weitere Wege aus, umgehend ein stärkeres Band zwischen der EU und jedem einzelnen Bürger zu knüpfen.
Die Europatage: fünf Feiertage zwischen dem 5. und 9. Mai, die in allen Mitgliedstaaten erstmals 2017 begangen werden. Mitten im Frühling, während die Natur sich erneuert, bekommt auch Europa die Chance zur Verjüngungskur. Während dieser Zeit ist der öffentliche Verkehr zwischen den EU-Ländern kostenlos, Hotels bieten vergünstigte Preise an und mehrere öffentliche Einrichtungen laden zu Tagen der offenen Tür ein. Überall finden europabezogene Straßenfeste statt, Diskussionen, Lesungen, Spiele, Ausstellungen, Konzerte, Theater- und Filmvorführungen – kostenlose interkulturelle Aktivitäten, bei denen man erfahren und überlegen kann, was es heißt, Europäer zu sein.
Was heißt es, EuropäerIn zu sein?
Das ist nicht zu bezahlen! Wirklich? Kann eine Organisation, die Milliarden für die Rettung von Banken ausgibt, ihr Geldsäckel nicht öffnen, um in die eigenen Bürger zu investieren, insbesondere, wenn die Kosten, es nicht zu tun, möglicherweise den eigenen Untergang bedeuten?
Das ist Bestechung! Zugegeben, gewissermaßen ist es das. Doch jahrzehntelang hat die Union mit allen möglichen Fördermitteln und Sonderbestimmungen Anreize für die Wirtschaft geschaffen – warum nicht den eigenen Bürgern ein Löffelchen Zucker anbieten?
Es schadet der Wirtschaft! Schon viel zu lange wurde die Politik bestimmt von dem, was „gut für die Wirtschaft“ ist – im Irrglauben, früher oder später erwachse daraus ganz von selbst „Gutes (Güter) für alle“. Die Europatage würden einen ungemein mutigen Schritt der EU weg vom neoliberalen Paradigma bedeuten, hin zur Privilegierung anderer Arten von „Wachstum“. Solche Feiertage schenken allen Bürgern einen beträchtlichen Batzen der wertvollsten Ware überhaupt – Zeit. Diese zusätzliche Freizeit hat das Potenzial, tiefgreifende persönliche und gesellschaftliche Entwicklungen anzustoßen.
Von welchem Raum reden wir?
Ein Eingriff wie die Europatage mit dem dazugehörigen Verreisen, Vermischen und Treffen der Menschen wird nach und nach – und das hat die Union bislang auf spektakuläre Weise versäumt – ein echtes Gemeinwesen schaffen, einen bewussten Demos, bestehend aus unzähligen Poleis. Es wird den irregeleiteten nationalistischen Impuls zerstreuen, der momentan überall auf so beunruhigende Weise stärker wird.
Das Zusammentreffen von Menschen in verschiedenen Konstellationen und an verschiedenen Orten bekräftigt Hannah Arendts prägnante Prämisse, die Polis – und das lässt sich auf den Demos übertragen – sei „nicht die Stadt im Sinne ihrer geographischen Lokalisierbarkeit, sie ist vielmehr die Organisationsstruktur ihrer Bevölkerung, wie sie sich aus dem Miteinanderhandeln und -sprechen ergibt; ihr wirklicher Raum liegt zwischen denen, die um dieses Miteinander willen zusammenleben, unabhängig davon, wo sie gerade sind“.
Zwei Europatage bestehen bereits: der 5. Mai für den Europarat und der 9. Mai für die EU. Beide gelten als „Symbol“ der Union, ebenso wie die Flagge, die Hymne, das Motto und der Euro. Doch im Großen und Ganzen kommen beide momentan über Tage der offenen Tür in ein paar Brüsseler Institutionen und einen Plakatwettbewerb, an dem eine Handvoll SchülerInnen teilnehmen, nicht hinaus. Was für eine vertane Chance! Mit beiden Feiertagen als Klammer einer fünftägigen Festwoche würde die EU ein nicht zu übersehendes Symbol schaffen, das jeder für sich mit Bedeutung füllen kann.
Im Angesicht des Neofaschismus
Trotzdem – man kann doch keine Feiertage aus dem Nichts schaffen! Das ist rechtlich unmöglich! Dabei legen Regierungen regelmäßig öffentliche Trauertage fest. Und mehr noch, immer rascher rufen sie „Ausnahmezustände“ aus und hebeln im Namen der nationalen Sicherheit die üblichen Gesetze aus, um das Gemeinwohl zu schützen, wie etwa Frankreich nach den jüngsten Terroranschlägen in Paris und Nizza. Dass das Land auch Monate später in diesem Zustand verharrt, ist nur ein Beispiel für Walter Benjamins vor Jahrzehnten gemachte Beobachtung – Giorgio Agamben hat sie in jüngerer Zeit weiter ausgeführt –, dass in modernen Demokratien der Ausnahmezustand die Regel geworden sei.
„Wir müssen“, so Benjamin, „zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern.“ Es ist wieder einmal ein kritischer Augenblick für Europa, das sich gegen eine Art Neofaschismus zur Wehr setzen muss. Ein wahrer Ausnahmezustand – in radikaler Abweichung von den Beschränkungen und Auflagen, die damit üblicherweise einhergehen – würde eine Zeitspanne schaffen, in der neue, den Status quo verändernde Möglichkeiten entstehen können.
Ist es möglich, die Europatage ins Leben zu rufen, ist der restliche DEMOS-Plan ebenfalls machbar. Dazu gehört die Schaffung eines Europadienstes, einem EU-weiten Äquivalents zum nationalen Zivildienst. Alle Bürger zwischen 18 und 25 Jahren werden gut dafür bezahlt, dass sie ein oder zwei Jahre in mindestens zwei verschiedenen EU-Mitgliedstaaten leben, soziale Aufgaben übernehmen und europäische Sprachen lernen.
Für die Jüngeren ist der Dienst verpflichtend, doch Bürger jeden Alters können sich für den einjährigen Dienst bewerben. Mit Blick auf das erstarkende Interesse an einer Europäischen Armee angesichts der unsicheren Zukunft der NATO spricht auch viel für eine freiwillige militärische Variante des Europadienstes. All dies baut auf dem Geist der Europatage auf, die Bindung zur EU zu stärken und eine gemeinsame europäische Perspektive zu kultivieren, die für den Erhalt der Union entscheidend ist.
Im realen Raum gibt es wenig Handlungsmöglichkeit
Menschen jeder politischen Haltung fühlen sich entfremdet, weil es für sie nur wenige Gelegenheiten gibt – von Wahlen und Demonstrationen abgesehen –, sich an politischen Diskursen und Prozessen zu beteiligen oder sie gar zu beeinflussen. Viele versuchen, dieses Bedürfnis in der virtuellen Welt zu befriedigen, insbesondere in den sozialen Medien, die in einem gewissen Maße die Aufgabe der Polis übernommen haben, „die Chancen zu organisieren, unter denen ein jeder sich auszeichnen und in Wort oder Tat zur Schau stellen konnte, wer er in seiner einmaligen Verschiedenheit war“. Doch ohne Gegenpart im realen Raum bleibt die Bestätigung in den sozialen Medien ungenügend. Das zeigt sich anhand der fortwährenden Unzufriedenheit der meisten Nutzer, die sich auf sie als wichtigste Informationsquelle und Ausdrucksplattform verlassen.
Die Unzulänglichkeit des Mediums offenbart sich auch in der Sprache, die es mehr und mehr hervorbringt: die Rhetorik der Frustration und Übertreibung, der Beleidigung und des Hasses. Zudem straft das Potenzial des Internets, die Wirklichkeit zu verdrehen und Daten zu manipulieren – Fake News und ihre Verbreitung durch Bots, die menschliche Aktivität nachahmen, zeigen es nur zu deutlich –, seine Verheißungen von mehr Freiheit und Gleichheit Lügen. Wenn die Demokratie wieder aufblühen soll, muss die Hegemonie des Internets als alternativer Ort der Öffentlichkeit durch die Schaffung von realen Orten und Gelegenheiten, andere Menschen zu treffen, herausgefordet werden.
Größere Solidarität untereinander ist das eine. Zudem müssen Europäer noch offener denjenigen gegenüber werden, die aus Nicht-EU-Ländern zu uns kommen. Eine menschlichere gemeinsame Antwort auf Zwangsmigration ist in weiter Ferne, und dennoch müssen wir – aufgrund von Klimawandel, demografischen Spannungen, internationalem Terrorismus und ökonomischer Ungleichheit – damit rechnen, dass die Zahlen derjenigen, die zur Flucht getrieben werden, weiter steigen werden und dass immer mehr Menschen in der Hoffnung auf ein besseres Leben alles riskieren werden.
Nicht nur muss das Recht auf politisches Asyl hochgehalten werden, wir müssen auch auf all jene Menschen in weniger stabilen oder wohlhabenden Ländern zugehen, die wie wir in Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Frieden leben möchten. Zum Beispiel mit einer europäischen Greencard-Lotterie, die dem US-amerikanischen Modell nachempfunden ist. Menschen aus aller Welt bewerben sich und die EU vergibt jährlich 100.000 Visa an Einwohner von Ländern, aus denen ansonsten wenige Menschen zu uns auswandern. Ein vorab ausgehandeltes Quotensystem verteilt die Neuankömmlinge auf ganz Europa. Eine solche Regelung wäre anderen gegenüber fair, und die Mitgliedstaaten hätten die Möglichkeit, die Bewerber zu überprüfen und eine reibungslose Übersiedelung vorzubereiten.
Eine Zeitung für die EU
Der DEMOS-Plan sollte von einer mutigen PR-Kampagne begleitet werden, die zunächst die Ziele erläutert und später Resultate zusammenfasst. An dieser Stelle kommt der mittlere Buchstabe des DEMOS-Alphabets ins Spiel: message, Botschaft. Die Bürger mithilfe von Werbung zu informieren, ist legitim und notwendig. Neben der Nutzung sämtlicher Medien sollte die EU ihre eigene Zeitung gründen, die ähnlich wie die New York Times als wöchentliche (und übersetzte) Beilage in mehreren europäischen Zeitungen erscheint. So könnte sich die EU geschlossener in einem Medienlabyrinth behaupten, in dem nationale Agenden dominieren und vorsätzlich Zerrbilder verbreitet werden.
DEMOS. Eine Europäische Union der Menschen, eine Demokratie, die nicht rein repräsentativ ist, sondern auf vielen Ebenen partizipativ. Nur ein aktiver Demos kann der EU neues Leben und Bedeutung einhauchen.
Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender
Europa driftet immer weiter nach rechts – und es herrscht Politikverdrossenheit.
Warum wir einen Aktionsplan für die Bürger brauchen.
von: Priya Basil
16.1.2017
Viele Reden sind geschwungen worden, um den schlechten Gesundheitszustand der EU zu diagnostizieren und Rezepte zur Behandlung auszustellen. Doch Worte konnten nur wenig bewirken: Die EU ist wie ein Patient, der die Krankheit nicht annehmen will, von der Arznei ganz zu schweigen. Und je schlimmer die Krankheit, desto weniger effektiv sind konventionelle Heilmittel, nicht zuletzt, weil sie eine Weile brauchen, um zu wirken – doch die Zeit läuft der EU inzwischen davon.
Tatsächlich ist es vielleicht schon so weit, dass die Medizin den Zustand nur noch verschlimmert. Das lässt die allergische Reaktion vieler Bürger auf die Aussicht eines repräsentativen EU-Parlaments vermuten, das mit gleichem Stimmrecht gewählt und mit vollem Gesetzgebungsrecht ausgestattet ist. Alles, was sie in solchen Plänen erkennen können, ist „mehr Europa“ – im Sinne von mehr für Europa (das heißt: für die anderen), aber nicht für mich.
„Mehr für dich“ verheißen Populisten derzeit: mehr Kontrolle, mehr Sicherheit, Jobs, Unabhängigkeit, Wohlstand, Macht. Diesen Boden muss die EU dringend zurückgewinnen, indem sie den märchenhaften Versprechungen der Populisten ein paar fabelhafte eigene Angebote entgegenhält.
Was ist zu tun? In einem Wort: DEMOS. Der EU-Kreislauf braucht eine Infusion gewöhnlicher Bürger – das Herzblut der Demokratie. Der Demos wird immer wieder von Demagogen beschworen, die behaupten, für die einfachen Leute – und zu ihnen – zu sprechen, doch ihre Definition „der Leute“ ist vage und stets ausgrenzend. Es gilt, die Idee des Demos als vielgestaltigen und offenen Körper zu restituieren, und die EU muss sich dieser Aufgabe annehmen, denn allein durch die Wiederbelebung eines Demos kann sie sich selbst kurieren. Der altgriechische Begriff trägt ein kurzes Alphabet in sich, das im Englischen einen Aktionsplan buchstabiert:
Democracy / Demoratie
European Days / Europatage
Message / Botschaft
Others – European Green Card Lottery / Andere – Europäische Greencard-Lotterie
Social (and Military) Service / Zivil-(und Militär-)dienst
Der DEMOS-Plan geht davon aus, dass zentrale Brüsseler Einrichtungen demokratischer werden müssen und dass die EU-Politik künftig weniger unternehmerischen und nationalen Interessen verpflichtet sein darf als vielmehr den Interessen aller Bürger. Dementsprechend führt der Plan weitere Wege aus, umgehend ein stärkeres Band zwischen der EU und jedem einzelnen Bürger zu knüpfen.
Die Europatage: fünf Feiertage zwischen dem 5. und 9. Mai, die in allen Mitgliedstaaten erstmals 2017 begangen werden. Mitten im Frühling, während die Natur sich erneuert, bekommt auch Europa die Chance zur Verjüngungskur. Während dieser Zeit ist der öffentliche Verkehr zwischen den EU-Ländern kostenlos, Hotels bieten vergünstigte Preise an und mehrere öffentliche Einrichtungen laden zu Tagen der offenen Tür ein. Überall finden europabezogene Straßenfeste statt, Diskussionen, Lesungen, Spiele, Ausstellungen, Konzerte, Theater- und Filmvorführungen – kostenlose interkulturelle Aktivitäten, bei denen man erfahren und überlegen kann, was es heißt, Europäer zu sein.
Was heißt es, EuropäerIn zu sein?
Das ist nicht zu bezahlen! Wirklich? Kann eine Organisation, die Milliarden für die Rettung von Banken ausgibt, ihr Geldsäckel nicht öffnen, um in die eigenen Bürger zu investieren, insbesondere, wenn die Kosten, es nicht zu tun, möglicherweise den eigenen Untergang bedeuten?
Das ist Bestechung! Zugegeben, gewissermaßen ist es das. Doch jahrzehntelang hat die Union mit allen möglichen Fördermitteln und Sonderbestimmungen Anreize für die Wirtschaft geschaffen – warum nicht den eigenen Bürgern ein Löffelchen Zucker anbieten?
Es schadet der Wirtschaft! Schon viel zu lange wurde die Politik bestimmt von dem, was „gut für die Wirtschaft“ ist – im Irrglauben, früher oder später erwachse daraus ganz von selbst „Gutes (Güter) für alle“. Die Europatage würden einen ungemein mutigen Schritt der EU weg vom neoliberalen Paradigma bedeuten, hin zur Privilegierung anderer Arten von „Wachstum“. Solche Feiertage schenken allen Bürgern einen beträchtlichen Batzen der wertvollsten Ware überhaupt – Zeit. Diese zusätzliche Freizeit hat das Potenzial, tiefgreifende persönliche und gesellschaftliche Entwicklungen anzustoßen.
Von welchem Raum reden wir?
Ein Eingriff wie die Europatage mit dem dazugehörigen Verreisen, Vermischen und Treffen der Menschen wird nach und nach – und das hat die Union bislang auf spektakuläre Weise versäumt – ein echtes Gemeinwesen schaffen, einen bewussten Demos, bestehend aus unzähligen Poleis. Es wird den irregeleiteten nationalistischen Impuls zerstreuen, der momentan überall auf so beunruhigende Weise stärker wird.
Das Zusammentreffen von Menschen in verschiedenen Konstellationen und an verschiedenen Orten bekräftigt Hannah Arendts prägnante Prämisse, die Polis – und das lässt sich auf den Demos übertragen – sei „nicht die Stadt im Sinne ihrer geographischen Lokalisierbarkeit, sie ist vielmehr die Organisationsstruktur ihrer Bevölkerung, wie sie sich aus dem Miteinanderhandeln und -sprechen ergibt; ihr wirklicher Raum liegt zwischen denen, die um dieses Miteinander willen zusammenleben, unabhängig davon, wo sie gerade sind“.
Zwei Europatage bestehen bereits: der 5. Mai für den Europarat und der 9. Mai für die EU. Beide gelten als „Symbol“ der Union, ebenso wie die Flagge, die Hymne, das Motto und der Euro. Doch im Großen und Ganzen kommen beide momentan über Tage der offenen Tür in ein paar Brüsseler Institutionen und einen Plakatwettbewerb, an dem eine Handvoll SchülerInnen teilnehmen, nicht hinaus. Was für eine vertane Chance! Mit beiden Feiertagen als Klammer einer fünftägigen Festwoche würde die EU ein nicht zu übersehendes Symbol schaffen, das jeder für sich mit Bedeutung füllen kann.
Im Angesicht des Neofaschismus
Trotzdem – man kann doch keine Feiertage aus dem Nichts schaffen! Das ist rechtlich unmöglich! Dabei legen Regierungen regelmäßig öffentliche Trauertage fest. Und mehr noch, immer rascher rufen sie „Ausnahmezustände“ aus und hebeln im Namen der nationalen Sicherheit die üblichen Gesetze aus, um das Gemeinwohl zu schützen, wie etwa Frankreich nach den jüngsten Terroranschlägen in Paris und Nizza. Dass das Land auch Monate später in diesem Zustand verharrt, ist nur ein Beispiel für Walter Benjamins vor Jahrzehnten gemachte Beobachtung – Giorgio Agamben hat sie in jüngerer Zeit weiter ausgeführt –, dass in modernen Demokratien der Ausnahmezustand die Regel geworden sei.
„Wir müssen“, so Benjamin, „zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern.“ Es ist wieder einmal ein kritischer Augenblick für Europa, das sich gegen eine Art Neofaschismus zur Wehr setzen muss. Ein wahrer Ausnahmezustand – in radikaler Abweichung von den Beschränkungen und Auflagen, die damit üblicherweise einhergehen – würde eine Zeitspanne schaffen, in der neue, den Status quo verändernde Möglichkeiten entstehen können.
Ist es möglich, die Europatage ins Leben zu rufen, ist der restliche DEMOS-Plan ebenfalls machbar. Dazu gehört die Schaffung eines Europadienstes, einem EU-weiten Äquivalents zum nationalen Zivildienst. Alle Bürger zwischen 18 und 25 Jahren werden gut dafür bezahlt, dass sie ein oder zwei Jahre in mindestens zwei verschiedenen EU-Mitgliedstaaten leben, soziale Aufgaben übernehmen und europäische Sprachen lernen.
Für die Jüngeren ist der Dienst verpflichtend, doch Bürger jeden Alters können sich für den einjährigen Dienst bewerben. Mit Blick auf das erstarkende Interesse an einer Europäischen Armee angesichts der unsicheren Zukunft der NATO spricht auch viel für eine freiwillige militärische Variante des Europadienstes. All dies baut auf dem Geist der Europatage auf, die Bindung zur EU zu stärken und eine gemeinsame europäische Perspektive zu kultivieren, die für den Erhalt der Union entscheidend ist.
Im realen Raum gibt es wenig Handlungsmöglichkeit
Menschen jeder politischen Haltung fühlen sich entfremdet, weil es für sie nur wenige Gelegenheiten gibt – von Wahlen und Demonstrationen abgesehen –, sich an politischen Diskursen und Prozessen zu beteiligen oder sie gar zu beeinflussen. Viele versuchen, dieses Bedürfnis in der virtuellen Welt zu befriedigen, insbesondere in den sozialen Medien, die in einem gewissen Maße die Aufgabe der Polis übernommen haben, „die Chancen zu organisieren, unter denen ein jeder sich auszeichnen und in Wort oder Tat zur Schau stellen konnte, wer er in seiner einmaligen Verschiedenheit war“. Doch ohne Gegenpart im realen Raum bleibt die Bestätigung in den sozialen Medien ungenügend. Das zeigt sich anhand der fortwährenden Unzufriedenheit der meisten Nutzer, die sich auf sie als wichtigste Informationsquelle und Ausdrucksplattform verlassen.
Die Unzulänglichkeit des Mediums offenbart sich auch in der Sprache, die es mehr und mehr hervorbringt: die Rhetorik der Frustration und Übertreibung, der Beleidigung und des Hasses. Zudem straft das Potenzial des Internets, die Wirklichkeit zu verdrehen und Daten zu manipulieren – Fake News und ihre Verbreitung durch Bots, die menschliche Aktivität nachahmen, zeigen es nur zu deutlich –, seine Verheißungen von mehr Freiheit und Gleichheit Lügen. Wenn die Demokratie wieder aufblühen soll, muss die Hegemonie des Internets als alternativer Ort der Öffentlichkeit durch die Schaffung von realen Orten und Gelegenheiten, andere Menschen zu treffen, herausgefordet werden.
Größere Solidarität untereinander ist das eine. Zudem müssen Europäer noch offener denjenigen gegenüber werden, die aus Nicht-EU-Ländern zu uns kommen. Eine menschlichere gemeinsame Antwort auf Zwangsmigration ist in weiter Ferne, und dennoch müssen wir – aufgrund von Klimawandel, demografischen Spannungen, internationalem Terrorismus und ökonomischer Ungleichheit – damit rechnen, dass die Zahlen derjenigen, die zur Flucht getrieben werden, weiter steigen werden und dass immer mehr Menschen in der Hoffnung auf ein besseres Leben alles riskieren werden.
Nicht nur muss das Recht auf politisches Asyl hochgehalten werden, wir müssen auch auf all jene Menschen in weniger stabilen oder wohlhabenden Ländern zugehen, die wie wir in Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Frieden leben möchten. Zum Beispiel mit einer europäischen Greencard-Lotterie, die dem US-amerikanischen Modell nachempfunden ist. Menschen aus aller Welt bewerben sich und die EU vergibt jährlich 100.000 Visa an Einwohner von Ländern, aus denen ansonsten wenige Menschen zu uns auswandern. Ein vorab ausgehandeltes Quotensystem verteilt die Neuankömmlinge auf ganz Europa. Eine solche Regelung wäre anderen gegenüber fair, und die Mitgliedstaaten hätten die Möglichkeit, die Bewerber zu überprüfen und eine reibungslose Übersiedelung vorzubereiten.
Eine Zeitung für die EU
Der DEMOS-Plan sollte von einer mutigen PR-Kampagne begleitet werden, die zunächst die Ziele erläutert und später Resultate zusammenfasst. An dieser Stelle kommt der mittlere Buchstabe des DEMOS-Alphabets ins Spiel: message, Botschaft. Die Bürger mithilfe von Werbung zu informieren, ist legitim und notwendig. Neben der Nutzung sämtlicher Medien sollte die EU ihre eigene Zeitung gründen, die ähnlich wie die New York Times als wöchentliche (und übersetzte) Beilage in mehreren europäischen Zeitungen erscheint. So könnte sich die EU geschlossener in einem Medienlabyrinth behaupten, in dem nationale Agenden dominieren und vorsätzlich Zerrbilder verbreitet werden.
DEMOS. Eine Europäische Union der Menschen, eine Demokratie, die nicht rein repräsentativ ist, sondern auf vielen Ebenen partizipativ. Nur ein aktiver Demos kann der EU neues Leben und Bedeutung einhauchen.
Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender
The Fight for Europe. State of Exception, reloaded
By: Priya Basil
2 Februar 2017
Words have been wielded aplenty to diagnose the EU’s poor state of health and write various prescriptions for treatment. But words have had little effect: the EU is like a patient who won’t accept the disease, let alone the medicine. What’s more, the worse its condition gets, the less effective conventional remedies become, not least because they need a while to take effect – and time is no longer on the EU’s side. Indeed, it may well have reached the stage where the medicine actually worsens the disease. This is clear in the allergic reaction of many citizens to the prospect of a representative EU parliament elected via equal suffrage and equipped with full legislative rights. All they see in such plans is “more Europe” – understood as more for Europe (that is others) not for me.
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By: Priya Basil
2 Februar 2017
Words have been wielded aplenty to diagnose the EU’s poor state of health and write various prescriptions for treatment. But words have had little effect: the EU is like a patient who won’t accept the disease, let alone the medicine. What’s more, the worse its condition gets, the less effective conventional remedies become, not least because they need a while to take effect – and time is no longer on the EU’s side. Indeed, it may well have reached the stage where the medicine actually worsens the disease. This is clear in the allergic reaction of many citizens to the prospect of a representative EU parliament elected via equal suffrage and equipped with full legislative rights. All they see in such plans is “more Europe” – understood as more for Europe (that is others) not for me.
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Hilfspaket für Europas Zivilgesellschaft
Die EU wird mehrheitlich von der Wirtschaft geprägt. Um aber das Gemeinschaftsgefühl der Bürger zu stärken, brauchen wir einen Europäischen Feiertag!
Von Priya Basil
7. Juli 2017
Strahlend blau mit goldenen Sternen entfaltet sich die Europaflagge, die ich mir von einem Nachbarn ausgeliehen habe. Ich versuche zu lächeln. Ein Freund soll mich für Kampagne fotografieren, die ich ins Leben gerufen habe und die einen Europäischen Feiertag! fordert. Doch dieses vertraute Symbol – Schmuck der Bürokratie, Zierde der Einheit – wirkt auf mich so unpersönlich, so leer, und ich frage mich: Kann ich das wirklich?
Trotz meiner Beschäftigung mit der EU und trotz meines Engagements für sie verunsichert mich ihre Flagge zutiefst. Am liebsten wäre mir, das Ding würde verschwinden. Ich will mich nicht wie eine Politikerin danebenstellen und für Fotos posieren. Zu sehr ist dieses Stück Stoff mit Assoziationen aufgeladen – besseren und schlechteren –, die ich nicht beeinflussen kann. Die befremdliche Nähe zur Flagge bestärkt mich in meinem Gefühl, dass wir ein neues, dynamisches EU-Symbol brauchen. Eines, das den Begriff von Einheit in Europa erweitert und Gemeinschaft anschaulich macht.
Die Kamera klickt, und ich bekomme doch noch ein Lächeln hin: Ich stelle mir ein großes gemeinsames Fest Ende Mai vor, bei dem wir Europäer – also alle, die in der EU leben – einander und unsere Union feiern. Manche Menschen bleiben zu Hause in ihren Straßen, andere nutzen die europaweit kostenlosen öffentlichen Verkehrsmittel, überall aber gibt es kulturelle und politische Veranstaltungen rund um das Thema EU. Auf diese Weise verkörpern wir alle zusammen Frieden und Vielfalt, Freiheit und Wohlstand, Offenheit und Solidarität, kurz: die Ideale der EU. Ohne eine solche offizielle Feier wird unsere Gemeinschaft viel zu einseitig von der Wirtschaft definiert. Ein europäischer Feiertag eröffnet uns einen Raum für unsere Bürgergemeinschaft. Er befördert eine europäische Zivilgesellschaft, die das Potenzial hat, nicht nur uns alle, sondern auch die EU zu verändern und damit unsere Demokratie zu verbessern.
Welches andere bereits vorhandene Symbol, frage ich mich, steht unmittelbar, greifbar und umfassend für die Union? Nur Euromünzen und -scheine. Sich damit fotografieren zu lassen, wäre noch schlimmer, denke ich, als die Kamera surrend heranzoomt. Bei dem Gedanken daran, ausgerechnet mit Geld für mehr Einheit zu werben, verziehe ich fast das Gesicht. Wobei – Moment mal! –, genau das hat die EU seit ihrer Gründung doch immer wieder gemacht. Entstanden aus der Prämisse, dass engere Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Nationen einen Krieg zwischen ihnen unwahrscheinlicher machen würde, hat es die EU niemals wirklich geschafft, mehr als eine ökonomische Gemeinschaft zu werden. Sicher, es gibt einen gemeinsamen rechtlichen und bis zu einem gewissen Maße auch gesellschaftlichen Rahmen, beide aber sind im Vergleich zu den Handelsstrukturen zweitrangig. Sicher, es gibt noch andere Symbole der Gemeinschaft außer der Flagge und dem Euro, darunter das Motto "In Vielfalt geeint" und die Hymne Ode an die Freude – das alles jedoch ist reine Schönfärberei des Binnenmarkts, der auch weiterhin die wahre Daseinsberechtigung der EU und die treibende Kraft hinter all ihren politischen Entscheidungen darstellt.
Gilt die Wirtschaft als vorherrschendes Leitprinzip, werden auch Menschen früher oder später wie Waren behandelt. Das zeigt sich derzeit an den verhaltenen Garantien Großbritanniens für EU-Bürger auf britischem Boden. Anstatt die Individualrechte zu betonen und zu schützen, setzt die Regierung unter Theresa May sie als Pfand in den Brexit-Verhandlungen ein: Bürger sind nur in dem Maße wertvoll, in dem sie zum ökonomischen Vorteil gereichen. Die EU dagegen zeigt eine lobenswert prinzipientreue Haltung in dieser Sache, doch wenn sich am Aufbau der Union nichts ändert, riskiert auch sie, die Gesellschaft der Wirtschaft dauerhaft unterzuordnen.
Bis zu einem gewissen Maß hat es sich bislang ausgezahlt, für die Stabilität in Europa auf wirtschaftliche Verbindungen zu setzen. 70 Jahre Frieden sind durchaus beachtlich. Und jetzt ist das Durcheinander der Brexit-Verhandlungen eine heilsame Lehre dafür, wie verflochten die Staatengemeinschaft inzwischen ist, und wie schwierig es ist, sie zu verlassen. Aber der Brexit warnt auch davor, dass ökonomische Bindungen nicht ausreichen, dass Menschen eine andere, persönlichere und emotionalere Beziehung zum Projekt der EU brauchen. Aus diesem Grund schlage ich einen europäischen Feiertag vor. Einen Tag, um unsere "geeinte Vielfalt" in allen Mitgliedsstaaten auf eine nie dagewesene Weise zu demonstrieren: gleichzeitig, öffentlich und offen für alle.
Nur ein Lippenbekenntnis für Europa?Ich bin überzeugt, dass die politische Klasse – wenn sie sieht, wie die Bürger die EU feiern und eine europäische Identität entwickeln – gezwungen sein wird, mehr im Interesse der Union zu handeln und weniger die nationalen Interessen ihrer vermeintlich europamüden Bevölkerung zu wahren. Noch immer breitet sich der Nationalismus in Europa aus, und dennoch scheint Emmanuel Macrons Sieg in Frankreich nach einer offen proeuropäischen Kampagne manche in falscher Sicherheit zu wiegen, was die Zukunft Europas betrifft. Vielleicht hatte der Anblick des französischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin bei ihrer ersten gemeinsamen Pressekonferenz zum EU-Gipfel etwas Beruhigendes. Immerhin standen die beiden eng zusammen, beinahe schienen sie miteinander zu turteln und zu gurren.
Doch jeder, der genauer hinsieht, weiß, dass diese beiden nicht wirklich vom selben Blatt singen. Macron schmetterte eine Arie des Wandels, voller forscher Maßnahmen, um unsere Einheit zu verbessern, bis hin zum Transfer nationaler Kompetenzen – der Steuererhebung etwa – nach Brüssel. Merkel zeigte ihre Raute und beantwortete die Frage, ob sie Vertragsänderungen zustimmen würde, um Macrons Ziele zu erreichen, mit einem Satz, der mir nicht aus dem Kopf geht: "Wo es nötig ist, wird man es tun. Wo es nicht nötig ist, wird man es nicht erzwingen."
Wischiwaschi vom Feinsten, geboren aus der folgenden Überzeugung: Jetzt, wo diverse Hürden genommen scheinen (der Brexit ist, wie er ist; der Flüchtlingsdeal mit der Türkei ist, wie er ist; das Visegrád-Demokratieverständnis ist, wie es ist …), und im Vorwege der Bundestagswahlen reicht für Europa ein Lippenbekenntnis, mehr aber braucht es nicht. Unter Merkel gibt es keine mutige Vision für Europa und wird sie nie geben. Unter Merkel bedeutet die EU "Germany first". Wenn wir als Bürger eine fantasievollere, inspirierendere Union wünschen, wenn wir möchten, dass andere Werte die europäische Politik bestimmen, wenn wir ein echtes Miteinander wollen – also eines, das auf Mitgefühl, Teilhabe und gegenseitigem Vertrauen fußt –, müssen wir selbst tätig werden. Auch wenn das unbequem ist.
Denn eine noch so virtuose Solovorstellung – selbst von einem französischen Präsidenten, der Sprechunterricht bei einem Opernsänger genossen hat – wird die EU nicht verändern. Ja, ich wage zu behaupten, dass auch ein wirklich harmonisches französisch-deutsches Duett die EU nicht in größeren Einklang zu bringen vermöchte. Für dieses Projekt braucht es einen Chor. Und ein sicherer Weg, Harmonie zwischen den verschiedenen Regierungsoberhäuptern herzustellen, ist, ihre Bürger aufeinander einzustimmen – mit einem europäischen Feiertag. Dieser Tag könnte die große polyphone Ouvertüre zur Neukomposition der EU sein, die wir so dringend brauchen.
Alle, die sich fragen, woher die finanziellen Mittel für eine solche Feier kommen sollen, weise ich auf den Überschuss von knapp 15 Milliarden Euro hin, die für den deutschen Haushalt zwischen 2019 und 2021 erwartet werden. Jüngste Zahlen, die das Finanzministerium vorgelegt hat, zeigen, dass die Summe noch nicht zugewiesen ist. Ich bin der Meinung, dass Deutschland mit seiner starken Zivilgesellschaft, mit seiner Verpflichtung zur Erinnerung und seinem ureigenen Bedürfnis, Europa mit offenen Armen zu begegnen, eine besondere Rolle dabei spielen muss, die EU von unten aufblühen zu lassen. Hier in Deutschland investiert der Staat in die Zivilgesellschaft, und ich vermute, viele Deutsche gehen davon aus, dass andere Regierungen es genau so machen. Nicht so jedoch in Großbritannien – und ich bezweifle, dass die Briten unter den EU-Mitgliedern eine Ausnahme darstellen. Geht man es richtig an, bietet der europäische Feiertag Millionen von Menschen erstmals die Gelegenheit – auf unterhaltsame Weise, mithilfe von Kultur und Begegnungen –, sich mit Fragen von Bürgerschaft, Rechten und Pflichten und nicht zuletzt mit der wichtigsten Herausforderung unserer Gemeinschaft auseinanderzusetzen: Wie kann eine Identität entstehen, die Landesgrenzen hinter sich lässt?
Allen, die denken: "Aber Deutschland kann nicht alles allein zahlen!", sage ich, dass auch andere Länder durchaus etwas herausrücken können, wenn es nur wichtig genug ist – wie es sich zuletzt etwa bei dem 17-Milliarden-Hilfspaket der italienischen Regierung für zwei Banken zeigte, die als "systemrelevant" gelten. Ich bringe das Thema nur ungern auf, aber die scheußliche Saga der Finanzkrise von 2008 ist leider bei Weitem nicht vorbei: Immer noch retten Regierungen Banken mit Steuergeldern ihrer Bürger.
Es gibt noch ein anderes Gebilde, das systemrelevant ist: die europäische Zivilgesellschaft. Sie gilt es zu retten, koste es, was es wolle, bevor sich alles, was ihre einzelnen Teile noch zusammenhält, aus Nachlässigkeit in Wohlgefallen auflöst. Die Gewährsleute der Banken, die Hamsterer von Haushaltsüberschüssen werden auch zukünftig über uns wachen – solange wir uns nicht zusammentun und uns selbst mit der klaren Forderung nach einem großzügigen, wunderschönen Hilfspaket beispringen: einem europäischen Feiertag.
Aus dem Englischen übersetzt von Beatrice Faßbender
Veranstaltungen zum Europäischen Feiertag! // European Holiday! Events
Europäischer Feiertag im Literaturhaus Berlin
Samstag 5. Mai
18:00 Uhr
Fasanenstraße
Eintritt: frei
Kuratiert von Priya Basil (Authors for Peace)
Wir brauchen einen Europäischen Feiertag! Keinem der existierenden EU Symbole ist es bisher gelungen, eine gemeinsame Identität zu fördern: Die Flagge ist zu unpersönlich, der Euro zu wirtschaftlich, die Hymne zu allgemein. Ein internationalisierter Zahlungsverkehr und gefallene Roaminggebühren machen noch kein gemeinsames Europa. Kaum bekannt ist, dass der 5. Mai seit 1964 die Gründung des Europarates im Jahr 1949 markiert. Zeit also, diesen Tag neu zu beanspruchen und mit kultureller Bedeutung zu füllen! Wir machen in diesem Jahr den ersten Schritt und erklären das Literaturhaus am 5. Mai zum extraterritorialen Ort, nicht deutsch, sondern europäisch, um ausgelassen uns Europäer*innen und mit Standup Performances, Lesungen, einer Ausstellung und einem Konzert zu feiern: in einem offenen Literaturhaus, als Zone jenseits von Grenzen!
Programm
18:00 Uhr Vernissage Fotoausstellung Andréas Lang
18:15 Uhr Begrüßung: Europäischer Feiertag? Warum?
18:30 Uhr Europäische Vermögenswerte oder unser Europa? Mely Kiyak und Annika Reich im Gespräch
mit Felix Ackermann
19:30 Uhr Imagine Europe! Ein literarischer Slam mit Ivana Sajko und Maxi Obexer
20:30 Uhr European Entanglements. Ein Dialog zwischen Adania Shibli und Rafael Cardoso
21:00 Uhr Europa spielt! Das Quintett des Deutschen Symphonie Orchesters Berlin spielt europäische Klassiker
21: 30 Uhr Cheers! Prost! Sto lat! Santé! Na zdrave! Cin cin! Noroc! Skål! Salud! Yamas!
Gemeinsames Anstoßen mit europäischem Wein und Bier
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We celebrate Europe, join our celebration!
5th May 2018, 6pm
European Holiday at Literaturhaus Berlin
Admission free!
Curated by the British writer and Berlin resident Priya Basil (Authors for Peace)
We need a European Holiday!
None of the existing EU symbols do much to foster a common identity. The flag is too impersonal, the Euro too commercial, the hymn too generic to promote any deeper sense of unity. Instant international money transfers and eliminated mobile roaming charges don't make for European togetherness.
Few know that, since 1964, 5th May is Europe Day - a day to mark the founding of the Council of Europe. It's more than time to re-claim this day and fill it with new cultural meaning. On 5th May 2018, we take the first step towards this by declaring the Literaturhaus an extraterritorial space - not in Germany, but of Europe. We'll bring the idea of a European Holiday across all member states to rollicking life with literary discussions, stand-up sessions and readings, plus an exhibition and a concert.
18:00 Exhibition Opening
Being and Between. European scenes by Andréas Lang Photographs, plus exclusively on 5th May only, "German Hanging Bridge” (Cameroon, 2016) video installation
18:15 Europe? A Holiday? Why?!
Welcome address from Priya Basil, Janika Gelinek, Sonja Longolius.
18:30 European Assets
Mely Kiyak and Annika Reich in a conversation moderated by Felix Ackermann
19:30 Imagine Europe!
A literary slam with Maxi Obexer and Ivana Sajko
20:30 European Entanglements
A Dialogue between Adania Shibli and Rafael Cardoso
21:00 Europe Plays!
A Quintet from the Deutsches Symphonie-Orchester plays European classics
21:30 Cheers! Prost! Sto lat! Santé! Na zdrave! Cin cin! Noroc! Skål! Salud! Yamas! A toast to Europe with European beer and wine.