Freiheit für Liu Xiaobo
Unterstützt von über 600 Autoren aus aller Welt, unter ihnen Wolf Biermann, Breyten Breytenbach, John M. Coetzee, Elfriede Jelinek, Herta Müller, Salman Rushdie, Vikram Seth und Mario Vargas Llosa, fordern das internationale literaturfestival berlin und Authors for Peace die sofortige Freilassung des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo und riefen Kulturinstitutionen, Radiosender und Schulen zu einer weltweiten Lesung der Charta 08 und Lius Gedicht Du wartest auf mich im Staub am 20. März 2011 auf.
Derzeit ist Liu Xiaobo weltweit der einzige Friedensnobelpreisträger, der noch in Haft ist. 2009 wurde Liu Xiaobo, nachdem er mit anderen Dissidenten die Charta 08 verfasst hatte, zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt - unter dem fadenscheinigen Vorwurf - er habe „die Staatsautorität unterhöhlt“. Bei der Charta 08 handelt es sich um ein Manifest, in dem mehr Demokratie und Freiheit in China gefordert werden.
Lius Inhaftierung verstößt gegen die Menschenrechte und gegen die chinesische Verfassung. Im Artikel 35 dieser Verfassung wird den „Bürgern der Volksrepublik China das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit, das Versammlungs- und Demonstrationsrecht“ garantiert.
Im Jahr 1936 ist es das letzte Mal vorgekommen, dass weder der Nobelpreisträger selbst, der deutsche Journalist und Friedensaktivist Carl von Ossietzky, noch ein Mitglied seiner Familie nach Oslo reisen durften, um die Ehrung entgegenzunehmen. Ossietzky durfte damals Nazi-Deutschland nicht verlassen. Dieser historische Vergleich sollte Peking nachdenklich stimmen.
China hat in den letzten Jahrzehnten einen sagenhaften wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Das Reich der Mitte ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und längst auch eine politische Großmacht. China darf selbstverständlich stolz auf diese Entwicklung sein. Dass Peking Demokratie und Pressefreiheit immer noch gering schätzt, ist umso mehr zu bedauern.
Im Vorwort zur Charta 08 heißt es: „Die chinesischen Bürger sind nach langwierigen, mühsamen und von Rückschlägen gezeichneten Kämpfen aufgewacht und erkennen in täglich wachsender Klarheit, dass Freiheit, Gleichberechtigung und Menschenrechte gemeinsame und universelle Werte der Menschheit sind, dass Demokratie, Republik und verfassungskonforme Regierung Basis und Rahmen moderner Politik sind. Eine ,Modernisierung’, die sich von diesen universellen Werten und solchen Grundlagen der Politik entfernt, kann nur zu einem Katastrophenprozess werden, der den Menschen ihre Rechte raubt, ihre Vernunft korrumpiert und ihre Würde zerstört. Wohin wird China im 21. Jahrhundert gehen? Wird es weiter die ,Modernisierung’ unter autoritärer Herrschaft verfolgen? Oder wird es sich mit den universellen Werten identifizieren und ein demokratisches Regierungssystem aufbauen?“ (1)
Nun hat China die Gelegenheit, einen wichtigen Schritt Richtung Demokratie zu gehen. China kann das sofort leisten – indem es stolz darauf ist, dass ein Chinese, Liu Xiaobo, den weltweit wichtigsten Preis für den Kampf um Menschenrechte gewonnen hat. Dieser Preis sollte eine Ehrung für ganz China sein.
Liu Xiaobo hat im Jahr 2005 geschrieben: „Haben sie nicht behauptet, dass sich China in einem goldenen Moment historischer Größe befindet? Und dass es um die Menschenrechte bestens steht? Haben sie nicht gesagt, dass die gegenwärtige Regierung ,die Menschen als Grundlage’ nimmt, um eine ,harmonische Gesellschaft’ zu schaffen? Wenn das so ist, warum gerät die Regierung, die das goldene und allmächtige China kreiert hat, so in Panik? Warum werden ich und andere Dissidenten in dieser ,harmonischen Gesellschaft’, in der die ;Menschen die Grundlage’ sein sollen, wie Dreck behandelt, auf dem man herumtrampeln kann? Warum muss eine ,harmonische Gesellschaft’ mit Polizisten gesichert werden, die überall stationiert sind?“ (2)
Für ein großes und freies Land ziemt es sich nicht, den Friedensnobelpreis zu denunzieren, das unrechtmäßige Überwachungsnetz um einen Friedensnobelpreisträger auch noch auf seine Familie und Freunde auszudehnen und zusätzlich Druck auf fremde Regierungen auszuüben, die Zeremonie in Oslo am 10. Dezember zu boykottieren.
Seit der Bekanntgabe des Preises wurde der Druck auf Lius Familie und seine Unterstützer nicht vermindert, im Gegenteil; und ebenso ist es leider allen ergangen, die sich für die freie Meinungsäußerung in China einsetzen. Lius Frau, Liu Xia, steht unter Hausarrest. Mehrere chinesische Bürgerrechtler wurden davon abgehalten, außer Landes zu reisen, für den Fall, dass sie nach Oslo hätten fahren wollen; und Lius Brüder zeigen sich pessimistisch, was ihre Chancen angeht, im Namen ihres Bruders nach Norwegen reisen zu dürfen.
China stellt ein Fünftel der Weltbevölkerung. Lius Fall ist also nicht die Geschichte eines einzelnen Mannes: Liu Xiaobo ist das Symbol für die Hoffnungen von 1,3 Milliarden Menschen.
Der Aufruf, die Charta 08 und Lius Gedicht Du wartest auf mich im Staub öffentlich zu lesen, unterstreicht unsere Unterstützung für die chinesischen Menschenrechtler und ist gleichzeitig die dringende Bitte an Peking, den Friedensnobelpreisträger aus der Haft zu entlassen.
Liu Xiaobo ist ein aufrechter Demokrat und tapferer Mann, der einst gesagt hat, dass „in einem diktatorischen Staat offene Briefe, die von Personen oder Gruppen unterschrieben werden, eine wichtige Methode sind, um einer Diktatur zu widerstehen und für Freiheit zu kämpfen“. (3) Darum unterzeichnen wir, die Bürger dieser Welt, diesen Aufruf − einige namentlich, andere mit ihren Stimmen, die sie am 20. März 2011 rund um den Globus erhoben haen, um Lius Texten Gehör zu verschaffen. Wir solidarisieren uns mit ihm und den vielen anderen in China, die nicht sagen dürfen, was sie sagen wollen.
Wir werden nicht schweigen, bis die ungesetzliche Inhaftierung Lius und anderer Dissidenten aufhört.
Appell unterzeichnen:
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Der Appell, mit einer Liste aller Unterzeichner, wurde auch weltweit am
10. Dezember, dem Tag der Friedensnobelpreisfeier in Oslo,
auf der Website des internationalen literaturfestivals veröffentlicht.
[i] Charta 08 (Übersetzung: Prof. Dr. Jörg-M. Rudolph, Ostasieninstitut,
Fachhochschule Ludwigshafen)
[ii] Liu Xiaobo: Wenn die Polizisten vor meiner Tür stationiert sind
[iii] Liu Xiaobo: Ich und das Internet
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Liu Xiaobo: You Wait For Me With Dust