6. Januar 2015
Authors for Peace stellt sich gegen Pegida
„Hier spricht die Polizei: Geben Sie die Kreuzung frei, ansonsten räumen wir! Halten Sie Ihre Ausweise bereit! Wir werden Ihre Personalien umgehend aufnehmen! Räumen Sie sofort die Kreuzung!”
Diesmal hat die Stimme gewechselt. Statt der freundlichen, jungen Frauenstimme ertönt nun ein fester, forscher Männerbass. Wohlklingend, geeignet als Synchronsprecher, denke ich, gänzlich unbeeindruckt von der offiziellen Anordnung.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich jemals der Polizei widersetzt habe. Mein Strafregister ist nicht vorhanden. Ich zahle meine Steuern, halte mich an vorgeschriebene Geschwindigkeiten, fahre so langsam, dass die Autofahrer hinter mir in aller Muße neue Flüche erfinden können. Ich warte als Fußgänger bei Rot an der Ampel, jedenfalls wenn Kinder da sind. Einige Straftickets für falsches Parken, das war`s schon mit meiner kriminellen Karriere.
Diesmal entscheide ich mich bewusst für den zivilen Ungehorsam. Genau wie die 150 anderen Anti-Faschisten, die wie ich gestern Abend, am 5. Januar, den Montags-Demonstrationszug der Berliner „Pegida“-Bewegung am Marschieren gehindert haben. Wir sind, gewissermaßen, mehr oder minder zufällig, der harte Kern der Anti-Pegida-Protestler.
Unseretwegen kann und wird sich „Bärgida“, wie sich der Hauptstadtableger der unsäglichen Fremdenhasser nennt, keinen einzigen Meter Richtung Alexanderplatz bewegen. Links von mir ist das Rote Rathaus, rechts das Nikolaiviertel. Die 300 Rechtsausleger stehen eingekeilt auf der Spandauer Straße. Durch einen dünnen Polizeikordon, halbhohe Eisengitter und Einsatzfahrzeuge von mir getrennt. Hinter ihnen, am Molkenmarkt, verharren etwa 1000 Anti-Pegida-Demonstranten. Die Polizei weiß, dass sie diese Tausend nicht einfach so von der Straße entfernen kann. Anders sieht es auf meiner Seite aus. Deutlich anders. Wir sind wenige. Die Einsatzkräfte rennen gegen uns an, greifen sich willkürlich einige Protestler heraus. Es gibt 24 Festnahmen. Dass ich nicht darunter bin, ist reiner Zufall. Wenn die Bassstimme wieder erklingt, um uns des Platzes zu verweisen, was im Laufe der drei Stunden häufiger geschieht, singen wir die Internationale oder skandieren Refugees are welcome here.
Warum ich von der erfolgreichen Vereitelung des Marsches der deutschtümelnden Xenophoben erzähle? Ich glaube, dass unsere Zivilgesellschaft aufwachen muss. Wir sollten mehr wertschätzen, was wir in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik erreicht haben.
Freiheit gibt es nicht umsonst.
Wir müssen uns für Demokratie und Freiheit aktiv einsetzen. Im Osten wie im Westen. Nicht nur alle paar Jahre, wenn wir wählen dürfen. Wir müssen unsere Werte verteidigen. Über alle Parteiengrenzen hinweg. Wir müssen auf die Straße gehen und deutlich Flagge zeigen.
Deutschland ist ein weltoffenes, ein tolerantes Land. Längst ein Einwanderungsland im Herzen Europas. Wir sind und fühlen uns glücklicherweise bereits als Europäer, hoffentlich demnächst auch als Weltbürger. Wir sind reich genug, um uns um Menschen in Not zu kümmern, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Neo-Nazis haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Die Fehler der Weimarer Republik, einer schwachen Demokratie, werden sich nicht wiederholen. Einen weiteren totalitären Staat wird es bei uns nicht mehr geben. Unsere Gewaltenteilung funktioniert. Unsere Institutionen sind stark. Justiz, Polizei und Armee durch und durch demokratisch geschult.
Wir können uns auf unser System verlassen.
Aber kann sich das System auch auf uns verlassen? Auf die engagierten Bürger, die nicht nur vorm Fernseher hängen, im Internet shoppen oder ihren nächsten Urlaub planen?
Wie viele Neo-Nazis sollen in Dresden auf die Straße gehen, bevor die Demokraten in der Elbstadt aufwachen? 50 000? Oder 100 000? Oder 200 000?
Jeder Neo-Nazi ist ein Neo-Nazi zuviel, keine Frage. Den tumben Mitläufern muss erklärt werden, wer ihre braunen Rattenfänger sind.
Noch einmal zurück zum gestrigen Abend. Zu meinem Ungehorsam. Ich habe, ganz ehrlich, in einem moralischen Dilemma gesteckt. Wahrscheinlich habe ich eine Straftat begangen, weil ich den Neo-Nazis nicht Platz gemacht habe. Gleichzeitig bin ich meinen ethischen Grundsätzen treu geblieben. Wobei Moral und Recht sich grundsätzlich häufiger im Wege stehen. Gesetzen, die Unrechtsstaaten erlassen, muss man nicht folgen; und selbst in Demokratien hilft es, Regeln zu verletzen, um die Gesellschaft zu verbessern. Was, sagen wir, Greenpeace leistet, überschreit die Grenzen der Legalität, ist aber, meines Erachtens, als eine Art von Katalysator in einer offenen, einer Risikogesellschaft notwendig. Ohne die Umweltbewegung und die teilweise extrem harten Auseinandersetzungen im Wendland und anderswo hätte es in Deutschland nach Fukushima niemals den Atomausstieg gegeben.
Wichtig sind, für mich, humanistische Maßstäbe. Nehmen wir den Kategorischen Imperativ, eine populäre Regel, die schon Kinder intuitiv begreifen. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Ich will nicht geschlagen werden, also schlage ich nicht andere. Ich will nicht, dass sich jemand über das Grundgesetz stellt, also stelle ich mich auch nicht über das Grundgesetz. Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz verbrieft. Und die gestrige Neo-Nazi-Demo der Pegida-Anhänger war erlaubt, hatte sogar Polizeischutz. Schließt es sich deswegen aus, dass ich auf der Kreuzung geblieben bin, um den Marsch der Neo-Faschisten zu stoppen?
Meistens, wenn ich Gedichte schreibe, verletze ich Grammatikregeln. Es fängt schon damit an, dass alle Buchstaben klein sind. Außerdem erfinde ich andauernd Worte. Ich mache das, weil ich glaube, die Regeln verstanden zu haben, aber dennoch frei sein will. Ich schütze, wenn man so will, die Vielfalt der Sprache, indem ich sie bewusst auf- und zerbreche.
Die Sprache unserer Demokratie verdient es, gesprochen und erweitert zu werden.
Sapere aude - so hieß nicht umsonst das Motto der Aufklärung.
Seid mutig. Denkt. Seid ungehorsam. Wehret den Anfängen.
Matthias Fredrich-Auf der Horst
Authors for Peace stellt sich gegen Pegida
„Hier spricht die Polizei: Geben Sie die Kreuzung frei, ansonsten räumen wir! Halten Sie Ihre Ausweise bereit! Wir werden Ihre Personalien umgehend aufnehmen! Räumen Sie sofort die Kreuzung!”
Diesmal hat die Stimme gewechselt. Statt der freundlichen, jungen Frauenstimme ertönt nun ein fester, forscher Männerbass. Wohlklingend, geeignet als Synchronsprecher, denke ich, gänzlich unbeeindruckt von der offiziellen Anordnung.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich jemals der Polizei widersetzt habe. Mein Strafregister ist nicht vorhanden. Ich zahle meine Steuern, halte mich an vorgeschriebene Geschwindigkeiten, fahre so langsam, dass die Autofahrer hinter mir in aller Muße neue Flüche erfinden können. Ich warte als Fußgänger bei Rot an der Ampel, jedenfalls wenn Kinder da sind. Einige Straftickets für falsches Parken, das war`s schon mit meiner kriminellen Karriere.
Diesmal entscheide ich mich bewusst für den zivilen Ungehorsam. Genau wie die 150 anderen Anti-Faschisten, die wie ich gestern Abend, am 5. Januar, den Montags-Demonstrationszug der Berliner „Pegida“-Bewegung am Marschieren gehindert haben. Wir sind, gewissermaßen, mehr oder minder zufällig, der harte Kern der Anti-Pegida-Protestler.
Unseretwegen kann und wird sich „Bärgida“, wie sich der Hauptstadtableger der unsäglichen Fremdenhasser nennt, keinen einzigen Meter Richtung Alexanderplatz bewegen. Links von mir ist das Rote Rathaus, rechts das Nikolaiviertel. Die 300 Rechtsausleger stehen eingekeilt auf der Spandauer Straße. Durch einen dünnen Polizeikordon, halbhohe Eisengitter und Einsatzfahrzeuge von mir getrennt. Hinter ihnen, am Molkenmarkt, verharren etwa 1000 Anti-Pegida-Demonstranten. Die Polizei weiß, dass sie diese Tausend nicht einfach so von der Straße entfernen kann. Anders sieht es auf meiner Seite aus. Deutlich anders. Wir sind wenige. Die Einsatzkräfte rennen gegen uns an, greifen sich willkürlich einige Protestler heraus. Es gibt 24 Festnahmen. Dass ich nicht darunter bin, ist reiner Zufall. Wenn die Bassstimme wieder erklingt, um uns des Platzes zu verweisen, was im Laufe der drei Stunden häufiger geschieht, singen wir die Internationale oder skandieren Refugees are welcome here.
Warum ich von der erfolgreichen Vereitelung des Marsches der deutschtümelnden Xenophoben erzähle? Ich glaube, dass unsere Zivilgesellschaft aufwachen muss. Wir sollten mehr wertschätzen, was wir in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik erreicht haben.
Freiheit gibt es nicht umsonst.
Wir müssen uns für Demokratie und Freiheit aktiv einsetzen. Im Osten wie im Westen. Nicht nur alle paar Jahre, wenn wir wählen dürfen. Wir müssen unsere Werte verteidigen. Über alle Parteiengrenzen hinweg. Wir müssen auf die Straße gehen und deutlich Flagge zeigen.
Deutschland ist ein weltoffenes, ein tolerantes Land. Längst ein Einwanderungsland im Herzen Europas. Wir sind und fühlen uns glücklicherweise bereits als Europäer, hoffentlich demnächst auch als Weltbürger. Wir sind reich genug, um uns um Menschen in Not zu kümmern, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Neo-Nazis haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Die Fehler der Weimarer Republik, einer schwachen Demokratie, werden sich nicht wiederholen. Einen weiteren totalitären Staat wird es bei uns nicht mehr geben. Unsere Gewaltenteilung funktioniert. Unsere Institutionen sind stark. Justiz, Polizei und Armee durch und durch demokratisch geschult.
Wir können uns auf unser System verlassen.
Aber kann sich das System auch auf uns verlassen? Auf die engagierten Bürger, die nicht nur vorm Fernseher hängen, im Internet shoppen oder ihren nächsten Urlaub planen?
Wie viele Neo-Nazis sollen in Dresden auf die Straße gehen, bevor die Demokraten in der Elbstadt aufwachen? 50 000? Oder 100 000? Oder 200 000?
Jeder Neo-Nazi ist ein Neo-Nazi zuviel, keine Frage. Den tumben Mitläufern muss erklärt werden, wer ihre braunen Rattenfänger sind.
Noch einmal zurück zum gestrigen Abend. Zu meinem Ungehorsam. Ich habe, ganz ehrlich, in einem moralischen Dilemma gesteckt. Wahrscheinlich habe ich eine Straftat begangen, weil ich den Neo-Nazis nicht Platz gemacht habe. Gleichzeitig bin ich meinen ethischen Grundsätzen treu geblieben. Wobei Moral und Recht sich grundsätzlich häufiger im Wege stehen. Gesetzen, die Unrechtsstaaten erlassen, muss man nicht folgen; und selbst in Demokratien hilft es, Regeln zu verletzen, um die Gesellschaft zu verbessern. Was, sagen wir, Greenpeace leistet, überschreit die Grenzen der Legalität, ist aber, meines Erachtens, als eine Art von Katalysator in einer offenen, einer Risikogesellschaft notwendig. Ohne die Umweltbewegung und die teilweise extrem harten Auseinandersetzungen im Wendland und anderswo hätte es in Deutschland nach Fukushima niemals den Atomausstieg gegeben.
Wichtig sind, für mich, humanistische Maßstäbe. Nehmen wir den Kategorischen Imperativ, eine populäre Regel, die schon Kinder intuitiv begreifen. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Ich will nicht geschlagen werden, also schlage ich nicht andere. Ich will nicht, dass sich jemand über das Grundgesetz stellt, also stelle ich mich auch nicht über das Grundgesetz. Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz verbrieft. Und die gestrige Neo-Nazi-Demo der Pegida-Anhänger war erlaubt, hatte sogar Polizeischutz. Schließt es sich deswegen aus, dass ich auf der Kreuzung geblieben bin, um den Marsch der Neo-Faschisten zu stoppen?
Meistens, wenn ich Gedichte schreibe, verletze ich Grammatikregeln. Es fängt schon damit an, dass alle Buchstaben klein sind. Außerdem erfinde ich andauernd Worte. Ich mache das, weil ich glaube, die Regeln verstanden zu haben, aber dennoch frei sein will. Ich schütze, wenn man so will, die Vielfalt der Sprache, indem ich sie bewusst auf- und zerbreche.
Die Sprache unserer Demokratie verdient es, gesprochen und erweitert zu werden.
Sapere aude - so hieß nicht umsonst das Motto der Aufklärung.
Seid mutig. Denkt. Seid ungehorsam. Wehret den Anfängen.
Matthias Fredrich-Auf der Horst
12.1.2015
Aktion französischer Karikaturisten:
"Pegida, verschwinde!"
Französische Zeichner stellen sich gegen die islamfeindliche Bewegung Pegida, die Kapital aus den Anschlägen von Paris ziehen will. Die Karikaturisten sind empört über den am 12. Januar in Dresden geplanten sogenannten "Trauermarsch" der Neo-Nazis und Wutbürger.
Aktion französischer Karikaturisten:
"Pegida, verschwinde!"
Französische Zeichner stellen sich gegen die islamfeindliche Bewegung Pegida, die Kapital aus den Anschlägen von Paris ziehen will. Die Karikaturisten sind empört über den am 12. Januar in Dresden geplanten sogenannten "Trauermarsch" der Neo-Nazis und Wutbürger.